Jüdische Dozenten an der Ingenieur-Akademie-Wismar

Stolpersteinverlegung

Im Andenken an Dr. Adolf Weingarten, Dr. Felix Kann und Dipl.-Ing. Herbert Kohn

Es ist ein dunkles Kapitel in unserer Geschichte, der Geschichte einer unserer Vorgängereinrichtungen, zu der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten antisemitische Hetze und Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft zählen. Daher wurden im Gedenken an drei Wissenschaftler, die an der Wismarer Ingenieur-Akademie wirkten, im Beisein des Rektors unserer Hochschule, Prof. Dr. Bodo Wiegand-Hoffmeister, am Dienstag, dem 24. Mai 2022 Stolpersteine in der Hansestadt Wismar verlegt. Die Biografien von Dr. Adold Weingarten, Dr. Felix Kann und Dipl. Ing Herbert Kohn wurden von Schüler_innen des Gerhart-Hauptmann-Gymnasiums vorgestellt und die Verlegung der Gedenksteine durch Künstler Gunter Demnig von Geigenmusik begleitet. Auch Angehörige der Familien aus Israel und Österreich waren anwesend, beteten und sangen gemeinsam auf hebräisch.

Dr. Adolf Weingarten

Dr. Adolf Weingarten (1889-1967) wirkte von 1925 bis 1933 in Wismar, war Städtischer Baurat und spielte in verschiedenen Bereichen der Stadt eine wichtige Rolle. 1925 wurde er Direktor der Maschinenfabrik Podeus A.G. Nach deren Schließung 1928 wirkte er als Dozent und ab 1930 dann als Direktor der Ingenieur-Akademie Wismar. Als vielseitig erfahrener und auf dem Gebiet des Flugzeugbaus promovierter Ingenieur übernahm und entwickelte er 1928 neben anderen Fächern vor allem das Fachgebiet "Leichtbau, Kraftfahrzeug- und Flugzeugbau". Im Herbst 1931 trat Weingarten nach einer antisemitischen Hetzkampagne seine Person betreffend auf Anraten der Ratsversammlung als Direktor zurück, blieb der Akademie aber als Dozent erhalten. Seine Kündigung erfolgte Anfang 1933 – unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und noch vor dem Erlass des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Dieses wurde erst nachträglich zur Begründung der Entlassung herangezogen und fand auch bei seinen Kollegen, Prof. Dr. Felix Kann (1883-1939) und Dipl.-Ing. Herbert Kohn (1888-1958), die 1933 bzw. 1937 von der Akademie entlassen wurden, Anwendung.

Dr. Adolf Weingarten ging mit seiner Frau ins Exil nach Palästina und kehrte 1949 nach Deutschland zurück. Das Ehepaar hatte keine Kinder.

Dr. Felix Kann

Für seine Dozentenstelle an der Ingenieur-Akademie gibt Dr. Felix Kann seine Stellung als Oberingenieur bei der Firma Paul Kossel in Bremen auf und beginnt am 1. November 1922 seine Lehrtätigkeit in den Fächern Statik der Baukonstruktionen und Eisenbetonbau. Kurze Zeit später ziehen seine Frau Antonia und der etwa zweijährige Sohn Julius nach.

Dr. Felix Kann lehrt an der Akademie mit großem Ernst und persönlichem Einsatz. Außerdem veröffentlicht er eine Reihe von Büchern und Artikeln in Fachzeitschriften und nimmt an wissenschaftlichen Kongressen teil. 1927 wird er zudem Privatdozent an der Technische Hochschule Braunschweig, wo er im gleichen Jahr habilitiert.

Prof. Dr. Felix Kann verliert aufgrund seiner „nichtarischen“ Abstammung Sommer 1933 zunächst seine Dozentenstelle in Braunschweig. Im September meldet sich auch hier in Wismar der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund und fordert: „Es liegt im Interesse der Studentenschaft, dass [Prof. Kann] umgehend von der Ingenieur-Akademie verschwindet, damit Erziehung und Bildung im nationalsozialistischen Sinne gewährleistet wird. Heil Hitler!“ Ende September erhält Kann seine Kündigung.

Prof. Dr. Felix Kann emigrierte mit seiner Familie in die Türkei, wo er 1939 verstarb. Seine Nachkommen leben heute in Österreich.

Dipl.-Ing. Herbert Kohn

Ebenfalls 1922 beginnt der Diplom-Ingenieur Herbert Kohn seine Tätigkeit als Dozent an der Ingenieur-Akademie für die Unterrichtsfächer des Maschinenbaus. Kohn war bis dahin Technischer Leiter der Eisenwerke-AG Düsseldorf-Telgte. Als Dozent wird er wegen seines Fachwissens sehr geschätzt: "Der Unterricht des Herrn Kohn war stets dem neuesten Stand der Technik angepasst und auf hochschulmäßiger Höhe.“

Nachdem seine jüdischen Kollegen entlassen werden, darf Herbert Kohn zunächst noch bleiben. Unter Druck steht er dennoch: 1934 wird Kohn nahegelegt, seine Werkstatt der Akademie zur Verfügung zu stellen. Täte er dies nicht, wäre seine Stellung als Dozent gefährdet. Kohn muss nachgeben. Entlassen wird er zwei Jahre später trotzdem. Im Dezember 1936 bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Werkstatt mit sämtlichen Maschinen der Akademie für 1.400 Reichsmark überlassen. Allein die Maschinen hatten einen Anschaffungswert von 12.000 Reichsmark. Oberbürgermeister Pleuger schreibt ihm ein Zeugnis aus: Der Städtische Baurat Kohn war „stets in selbstloser Weise für die Anstalt tätig und hat unter Zurückstellung persönliche Interessen auch in einem großen Teil seiner Freizeit die Aufgaben erledigt, die ihm übertragen worden waren, oder die er sich selbst bestellt hatte. Herr Kohn hat in seinem Unterricht stets große Erfolge aufzuweisen gehabt. Von seinen Kollegen und Studierenden wurde er als fachlich guter Pädagoge geachtet. Er hat sich durch intensives Studium der Fachliteratur stets auf dem Laufenden gehalten. Herr Kohn verlässt die Ingenieur-Akademie infolge der rassenpolitischen Gesetzgebung.“ Familie Kohn zieht Anfang des Jahres 1937 nach Berlin.

1938 floh Dipl.-Ing. Herbert Kohn mit seiner Familie nach China, wo sie den Holocaust überlebten. Seine Nachkommen leben heute in Israel.

Der Förderkreis der Hochschule Wismar hat die Herstellung der acht Stolpersteine für die drei ehemaligen Dozenten jüdischer Herkunft einschließlich der Familienangehörigen mit insgesamt 960 Euro unterstützt.